Urban Desire Research Team – Snow Day

20.11.2011 by 002

Am 17. Januar 2010 veranstalteten einige Urban Operator , damals als (Urban Desire Research Team) den Snow Day im Hamburger Karolinenviertel. Die Organisation eines Rodel, Ski- und Snowboardwettbewerbes auf dem , dieser Tage verschneiten, ehemaligen Schlachthofareal diente der Dokumentation und Erforschung strategischer sowie taktischer Momente. Die Reflexion der Aktion hinsichtlich dieser Momente und die Diskussion der theoretischen Grundlage von Michel De Certeau aus seinem Buch die Kunst des Handelns stellten den zentralen Aspekt des Projektes dar.

Nach Michel De Certeau formieren sich die  Begriffe Taktik und Strategie  wie folgt:

 

Taktik: Eine Taktik bezeichnet ein „Kalkül, das nicht mit etwas Eigenem rechnen kann und somit auch nicht mit einer Grenze, die das Andere als eine sichtbare Totalität abtrennt. Die Taktik hat nur den Ort des Anderen“ (DE CERTAU 1988: 23).

 

Strategie: Eine Strategie sei im Folgenden als „Berechnung von Kräfteverhältnissen, die in dem Augenblickmöglich wird, wo ein mit Macht und Willenskraft ausgestattetes Subjekt (ein Eigentümer, ein Unternehmen, eine Stadt, eine wissenschaftliche Institution) von einer Umgebung abgelöst werden kann. Sie setzt einen Ort vorraus, der als etwas Eigenes umschrieben werden kann und der somit als Basis für die Organisierung seiner Beziehungen zu einer bestimmten Außenwelt (Konkurrenten, Gegner, ein Klientel, Forschungs-‚Ziel’ oder ‚-Gegenstand’ dienen kann. Die politische, ökonomische oder wissenschaftliche Rationaliät hat sich auf der Grundlage dieses strategischen Modells gebildet“ (DE CERTEAU 1988: 23).

 

Nachdem die Idee zur Intervention am 12. Januar aufkam und einen Abend später der Trailor zur Veranstaltung gedreht war standen die kommenden Tage im Zeichen der Vorbereitung. Wir kümmerten uns um Werbung im Radio, im Internet und überzeugten lokale Snowboardgeschäfte von der Aktion über ihre Verteiler zu berichten.

Eine zentrale Frage bei der Veranstaltung bot die Sicherheit und die damit verbundene Genehmigung des Hausherren. In diesem Fall die Stadtentwicklungsgesellschaft (STEG) die das Areal verwaltet und sich um seine kreative Nutzung kümmert. Da diese keine Genehmigung erteilte entschlossen wir uns eine Versicherung für Filmdreharbeiten abzuschließen die Sach- und Personenschäden in einer Höhe von 2. Mio. Euro abdeckte.  Die Versicherung bedingte, dass wir alle Teilnehmer eine Abtrittserklärung ihrer Bildrechte sowie einen zusätzlichen Haftungsausschluss unterzeichnen lassen mussten.

 

TAZ. de berichtet über das Geschehen wir folgt: „Der Platz vor dem Karostar am alten Schlachthof ist einer der urbansten Orte Hamburgs. Er verbindet das Karolinenviertel mit dem Schanzenviertel. In der Nacht vom vergangenen Sonntag versammelten sich hier rund 20 junge Leute die bewaffnet, bewaffnet mit Schaufeln, Schneeschiebern und Bier. Am nächsten Tag bietet sich den Passanten ein ungewohntes Bild: die Treppe am Kopfende des Platzes ist zum Drittel mit Schnee bedeckt. Es ist eine kurze Abfahrt mit Sprungschanze entstanden. Gegen Mittag treffen die ersten Snowboarder ein, auch Schlittenfahrer sind schnell zugegen. Alte Weihnachtsbäume markieren die Absperrung zur Piste. Warme Getränke gibt es umsonst. Langsam füllt sich der Platz mit Zuschauern.“

 

Eine Vollständige Auswertung der Aktion finden sie im Buch UD-Metalab 4, Kunst der Funktion. Die Texte von der Idee zum Konzept ein theoretisches Modell sowie Film als Werkzeug sollen ihnen einen kleinen Eindruck über die Art der Arbeit verschaffen.

 

Von der Idee zum Konzept – ein theoretisches Model

Das Diagramm visualisiert das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die im Kontext eines Projektes im Verlauf von der Idee hin zur Realisierung zum Tragen kommen. Jedem Projekt liegt eine konkrete Motivation, ein Bedürfnis zu Grunde. Zu Beginn einer Projektidee, die eine Form von Aktion im städtischen Raum vorsieht, steht die Feststellung oder Behauptung einer Funktions-„Lücke“ oder zusätzlichen Funktionsmöglichkeit eines Raumausschnittes. Das Erkennen einer solchen wird wesentlich determiniert durch den individuellen Erfahrungshorizont des Betrachters. Beispiele für solche funktionale Aneignungen finden sich im Kapitel Alltagstaktiken. Die Realisierbarkeit einer Aktion im Raum hängt je nach ihrer Natur von verschiedenen Einflüssen ab. In einem Spannungsfeld der Umsetzbarkeit wirken unter anderem Vektoren wie rechtliche Regularien, Interessen verschiedener sozialer Gruppen, Ausstattung der Projektinitiatoren an ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital auf einander.

Ist eine Projektidee entworfen beginnen die Abwägungen über die tatsächliche Durchführbarkeit. Das Konzept wird auf verschiedenen strategischen Ebenen durchleuchtet. Ziel ist es möglichst wenig potentielle Konsequenzen unbedacht zu lassen. Die Minimierung von Konfliktpotenzialen durch strategisches Vordenken verringert die Notwendigkeit anschließenden taktischen Handelns. Mit der tatsächlichen Umsetzung einer Projektidee setzt man sich mit dem zuvor abgesteckten strategischen Rahmen der Praxis aus und kann ab dato auf Unvorhergesehenes nur noch taktisch reagieren.

 

An dieser Stelle ein Fallbeispiel für das Eintreten eines nicht kalkulierten Ereignisses, das taktisches Handeln notwendig machte:

Zu Werbezwecken für das Snowboardprojekt am Karostar wurde über den E-Mail Verteiler der HCU Hamburg ein digitaler Flyer verschickt. Auf diesem Wege erfuhr der Präsident der HafenCity Universität über die geplante Aktion des Urban Desire Research Teams. Nach dem Kenntnisstand der universitären Leitung war das Projekt versicherungstechnisch nicht abgesichert, weshalb die HCU sich gezwungen sah, offiziell Abstand von der Aktion zu nehmen (vgl. Stellungnahme des Präsidenten im Anhang). Das Projektteam reagierte spontan. Eine spezielle Haftpflichtversicherung für Dreharbeiten sicherte die Aktion über 3 Millionen gegen Personen- und Sachschäden ab. Dadurch ergaben sich uneingeplante finanzielle Belastungen. Um diese zu bewältigen war erneut taktisches Kalkül vonnöten. Es wurde ein Sponsor akquiriert. Darüber hinaus wurde versucht die entstandenen Kosten durch die Ausschenkung von Getränken gegen Spenden aufzufangen.

Nach der Aktion verbleibt die Frage nach der weiteren Verwertung des Projektes und der darin gewonnenen Erfahrungen. Können daraus weitere Projektideen generiert und vielleicht konkrete Aufträge an Land gezogen werden? Auf jeden Fall ist eine detaillierte Dokumentation des gesamten Projektverlaufs sinnvoll, um auf den erarbeiteten Informationspool auch später in anderen Kontexten zurückgreifen zu können.

 

 

Film als Werkzeug 

Das Aufzeichnen von Bewegtbildern wird in diversen Bereichen der Wissenschaft als Forschungsmethode angewandt. In der visuellen Antropologie etwa gehört das Filmen von kultureller Praxis schon lange zum methodischen Standart. (vgl. Kalthoff, H.)

Film bietet neben seiner hervorragenden Eignung als Darstellungsform für Forschungsergebnisse auch andere Qualitäten. Film kann als Werkzeug ähnlich der schriftlichen Notiz wahrgenommenes festhalten und für eine spätere Auswertung zur Verfügung stellen. Film kann abbilden und im Gegensatz zur Fotografie kann Film sogar Prozesse in ihrem zeitlichen Verlauf dokumentieren. Film ist dabei jedoch genau so subjektiv wie jede andere Aufzeichnungsform auch. (ebd. Kalthoff, H.) Die Wahl des Bildausschnittes, der Brennweite und der Belichtung allein haben grossen Einfluss auf das aufgezeichnete Abbild des Wahrgenommenen. (vgl. Löw, M.) In der Auswahl und Montage des Rohmaterials entsteht darüber hinaus die Konstruktion einer neuen anderen Realität.

 

Bei der Intervention „Snow Day“ haben wir Film aus verschiedenen Gründen eingesetzt.

 

1.Vortäuschung einer Videoproduktion als Finte zur Tarnung.

2.Film als Notizbuch.

3.Eigendokumentation der Arbeit und Darstellung der Ergebnisse.

4.Identifikation und Dokumentation von Reaktionen und Handlungsweisen der Beteiligten und der Passanten auf die Intervention.

 

Das Vortäuschen einer „Videoproduktion“ als Finte zur Tarnung, diente unserer eigenen Absicherung. Eine Produktionshaftpflicht kann für Filmarbeiten abgeschlossen werden. Die mit einer Filmproduktion verbundenen Risiken sind bekannt. Eine „Intervention“ hingegen ist ein nicht kalkulierbarer Begriff, dafür ist es schwieriger eine Haftpflicht zu finden.

 

Als Notizbuch funktioniert Film unter bestimmten Aspekten sehr gut. Anders jedoch als ein solches dringt Film sehr stark in die Privatsphäre von Personen ein. Die Akzeptanz für schriftliche Notiz z.B. ist ungleich höher als für Film. Eine Videokamera wird oft als Bedrohung wahrgenommen. Deshalb war es wichtig mit unauffälliger Technik aufzutreten, weshalb wir eine videofähige Fotokamera benutzt haben. Das Notizbuch des Ethnogafen das Feldtagebuch, in das nicht nur Wahrgenommenes, sondern zugleich die Reflexion darüber einfliesst, kann durch eine Kamera nicht ersetzt werden. Es kann nur um die Funktionen der Filmaufzeichnung ergänzt werden.

 

Für die Darstellung der Ergebnisse ist Film ein hervorragendes Mittel. Film kann passiv konsumiert werden, Film ist immersiv, Film bietet vielfältige subjektive Gestaltungsmöglichkeiten bis zur fiktionalen Verfremdung. Um so genauer muss bei der Verwendung von Film als Mittel beachtet werden welches Ziel mit dem filmischen Resultat verfolgt wird und welcher Anspruch an Objektivität besteht.

Für uns standen folgende Verwertungsziele vor der Intervention fest. Zum Einen die Darstellung der subjektiv empfundenen Stimmung der Intervention. Zum Zweiten eine Dokumentation der eigenen Arbeit, welche möglichst im Nachhinein die Kosten der Intervention durch kommerzielle Verwertung wieder einspielt.

Und zum Dritten haben wir den Schwerpunkt der filmischen Aufzeichnung der Intervention und deren wissenschaftsbezogene Auswertung auf die Beobachtung von Handlungsweisen und Reaktionen der beteiligten Akteuere und der Passanten gelegt. Bei der Auswertung des Rohmaterials ist dabei z.B. aufgefallen wie lange einige Passanten als Zuschauer verweilten und wie ihre spontane emotionale Haltung zur Intervention erschien. Auch die Aneignungsprozesse der Snowboarder, Rodler und Skifahrer, welche ihrerseits Primärkonsumenten der Intervention waren, konnten erst in der Auswertung des Rohmaterials genauer identifiziert werden. Somit bietet das Rohmaterial in Bild und Ton einen Blick auf den „espace vécu“, den Raum gelebter Zeichen.

 

Im gedanklichen Feld, zwischen den Erinnerungen an die Alltagswirklichkeit am Ort und dem aus der Auswertung des Materials gewonnenen Überblick, entsteht die Möglichkeit eine filmische Darstellung zu finden, die ihrerseits als rekonstruierte Realität eine Repräsentation der subjektiv empfundenen Erscheinung der Intervention ist. Diese filmische Darstellung folgt dabei einem Konzept der Montage. Die Timeline des Schnittprogramms wird zum „espace conçu“ dieser rekonstruierten Realität. (vgl. Lefebvre)

 

 

 

 

Weitere Berichte zum Projekt:

http://regulategentrification.wordpress.com/2010/03/01/urban-snowboarding-im-karolinenviertel-hamburg/#

 

Quellen:

DE CERTEAU, M. (1988): Die Kunst des Handelns. BerlinHEINE, H. (2001): Deutschland, ein Wintermärchen. Stuttgart

TAZ:DE, (2010) Ortstermin, Snowboarden am Karostar, Schanzenspringen im Schanzenviertel

Kategorien: Operations
  -  Tags: ·····
« Zurück

Schreibe einen Kommentar »

*